Ich habe heute einmal vor über ein Thema zu berichten, zu dem ich mich selbst erstmal ein wenig im Internet schlau machen musste. In der deutschen Toleranz und (Nicht-)Akzeptanz kenne ich mich ja spätestens seit meiner Komplexen Lernleistung (eine umfangreiche Hausarbeit in der zwölften Klasse) doch ziemlich gut aus. Und wenn mir schon in Deutschland gelegentlich das Kotzen kommt schlecht wird, weil ich von unqualifizierten, intoleranten und unserer Zeit nicht angemessenen Meinungen hören und lesen muss, wie muss das dann in einem Land sein, dass unserer westlichen Kultur - sagen wir - hinterher hängt? Ein Land, in dem Werte und Anschauungen noch andere sind, in dem die katholische und orthodoxe Kirche eine weitaus größere Rolle im Leben der Menschen spielen und extrem das Weltbild von einem großen Teil der Bevölkerung prägen.
Nun, schon an diesem Punkt meines heutigen Beitrages ist zu erkennen, dass ich nicht unbedingt neutral und unvoreingenommen an das Thema herangehen werde! Ich möchte niemanden vor den Kopf stoßen, sondern einfach nur meinen Blog nutzen, um der winzigen, das hier lesenden, Öffentlichkeit über etwas zu berichten, was mir sehr am Herzen liegt.
Ausschlaggebend dafür ist eine Begegnung, die ich am letzten Wochenende hier in einem Club gemacht habe. Es waren ein paar Freiwillige zu Besuch in Cluj und so wurde von uns diese Gelegenheit dazu genutzt ein wenig zu feiern, zu trinken und zu tanzen, wie es junge Menschen nun einmal machen, die in einer Stadt mit einer ausreichend großen Partyszene leben. Der Sonntag war erst wenige Stunden alt, der Club ziemlich voll, die Musik gut, die Stimmung auch und ich hatte mir gerade mein erstes Bier gekauft, als mir ein junger Mann über den Weg lief. Er hatte einen Dreitagebart, war gar nicht mal so schlecht aussehend und sprach außerdem ziemlich gut englisch, wodurch wir ein bisschen ins Gespräch gekommen sind: Was ich denn hier so in Cluj mache, ob es mir gefällt und so weiter. Plötzlich stellte sich dann aber etwas heraus, worüber ich ziemlich erstaunt, wenn nicht sogar für einen kurzen Augenblick schockiert war: Bei meinem Gesprächspartner handelte es sich gar nicht um einen Mann, also irgendwie schon, dann aber auch wieder irgendwie nicht. Natürlich habe ich keine Ahnung wieviel Mann in diesem Augenblick vor mir stand! Ich verabschiedete mich dann nach einer Weile total verdutzt und musste erstmal den anderen von dieser Begegnung erzählen, die mindestens genauso überrascht waren wie ich. Niemals wäre ich davon ausgegangen in Rumänien einem Transsexuellen zu begegnen, ist Homosexualität ( und damit zusammenhängend auch Transsexualität) doch ein Tabuthema in der Gesellschaft!
Also wurde ich neugierig und habe den dann mittlerweile schon deutlich älteren Sonntag dazu genutzt, ein wenig zu recherchieren. Gibt es in Rumänien eine Homoszene? Wie sieht diese aus? Was gibt es für Vereine, welche Rechte haben Homosexuelle und und und...
Zuerst habe ich mich auf das Partyleben spezialisiert gehabt. Mir war klar, dass es sicherlich nicht so viele Möglichkeiten geben wird wie ich es von Leipzig her kenne, aber in einer Studentenstadt wie Cluj muss ja irgendwas zu finden sein. Tatsächlich gibt es hier einen Gay-Club, der sogar direkt in der Innenstadt auf einem (für Cluj nicht untypisch) Hinterhof liegt. Zudem gab es eine kleine Anzahl gay-freundlicher Clubs mit gemischten Publikum, darunter übrigens auch die Disko, in der wir die Nacht von Samstag auf Sonntag verbracht hatten.
Natürlich ist ein Club auf 324.000 Einwohner nicht wirklich viel, wenn man davon ausgeht, dass etwa 5% der Menschen weltweit homosexuell sind und dieser Wert sicherlich auch in Rumänien nicht deutlich davon abweicht. Zudem befinden sich solche Clubs nur in den großen Städten in Rumänien, wodurch es vermutlich auch einen recht großen Anteil derer gibt, die extra weit anreisen, um sich in das Partygetümmel zu stürzen.
Wie von mir also nicht anders erwartet gibt es im konservativen Rumänien keine LGBT-Community, die regelmäßig offen feiern kann und öffentlich stolz darauf sein darf, das zu sein, was sie ist.
Und mit somit schon ziemlich böser Vorahnung habe ich mich gewagt, den Blick von der Partykultur abzuwenden und zu schauen, wie der Rest des Lebens für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transexuelle in dem osteuropäischen Land wohl aussehen muss.
Dabei ist mir dann ein Erlebnis eingefallen, dass ich schon vor ein paar Monaten hier in Rumänien hatte. Über meine damalige Mitbewohnerin bin ich in einen ungarischen Taizé-Gottesdienst geraten. Und da saßen wir nun, als einzige Ausländer zwischen einem evangelischen Pfarrer, dem katholischen Organisator und ein paar weiteren Ungarn, die hier in Rumänien ja selbst einer Minderheit angehören. Wir hatten ehrlich gesagt etwas anderes von dieser Veranstaltung erwartet und waren dann doch ziemlich überrascht, als der Pfarrer erst eine Predigt über die Bedeutung der Liebe und Familie abhielt und danach eine Diskussion darüber entbrannte, inwieweit es positiv oder negativ ist, dass sich das Familienleben in den letzten Jahren verändert hat. Es ging darum, wie wir Liebe definieren, dass Frauen später Kinder kriegen und sich lieber um ihre Karriere kümmern und so weiter. Es wurden Dinge kritisiert, die für uns Westeuropäer selbstverständlich sind. Natürlich fand die Diskussion auf ungarisch statt und so wurde uns nur ansatzweise übersetzt, worüber gerade gesprochen worden war. Dennoch war auch unsere Meinung gefragt, weil doch eine große Neugierde an unserem westlichen Familienbild bestand. Das Gespräch war die ganze Zeit freundlich, die Ungarn waren offen und wirklich interessiert, wie auch wir. Dennoch war merklich, dass bei einigen Beiträgen die jeweils andere Seite nur mit dem Kopf schütteln konnte.
Und dann, wie sollte es anders sein, viel das Stichwort Homosexualität. Für mich war es der Augenblick, wo ich nur widerwillig meinen Mund hielt, um die freundliche Atmosphäre nicht zu zerstören. Einer der Beteiligten erzählte von einem Trip nach Deutschland, wo er in der Berliner U-Bahn ein sich küssendes lesbisches Pärchen sah. Für ihn war das etwas äußerst Ungewöhnliches und so beobachtete er das Paar, bis ihm auffiel, dass niemand anderes der Fahrgäste in irgendeiner Weise besonderes Interesse an dem Ereignis zeigte. Er sagte, dass er so etwas noch nie in der Öffentlichkeit gesehen hatte, wäre es doch in Rumänien ein Ding der Unmöglichkeit seine sexuelle Neigung so offen zur Schau zu stellen. In diesem Moment kam rechts von mir ein Dazwischenruf. Ein mir bis dahin sehr sympathischer Mann kommentierte das Gesagte mit einem "Ist doch richtig so!"
Ich habe in diesem Moment schlucken müssen. Natürlich war mir klar, dass in Rumänien, einem Land, in dem Diskriminierung gegenüber Minderheiten scheinbar das Normalste auf der Welt ist, auch Homosexuelle ein schweres Leben haben müssen. Aber in diesem Moment ist mir das noch einmal viel deutlicher und realer geworden.
Und so stieß ich während meiner Recherche auf verschiedene Tatsachen:
- Homosexualität wurde 1996 im Privatbereich legalisiert
- Erst 2001 wurde durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Artikel des rumänischen Strafgesetzbuches aufgehoben, welcher öffentliche Erscheinungsformen von Homosexualität unter Strafe setzte
- seit 2002 ist das homosexuelle dem heterosexuellen Schutzalter von 15 Jahren gleichgestellt
- 2000 wurde ein Gesetz aufgrund der Antidiskriminierungsvorschriften der EU erlassen, welches eine Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung in bestimmten Bereichen verbietet
- von staatlicher Seite gibt es keine gesetzliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare
(Ich habe mir ehrlich gesagt nicht allzu viel Mühe gemacht und ihr könnt das alles detailierter bei, wie sollte es anders sein, Wikipedia nachlesen!)
Zudem bin ich über queer.de auf einen Artikel über Diskriminierung von Homosexuellen gestoßen. Demnach sind Schwule die unbeliebteste Minderheit in Rumänien. Mehr als ein Drittel der Rumänen würden Schwule aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestrafen wollen; 84% der Rumänen gaben an, nicht aus einem Glas trinken zu wollen, aus dem zuvor ein Schwuler getrunken hat. Meiner Meinung nach sind das erschreckende Umfragewerte!
Wenn ich also schon schräg angeschaut werde, weil ich in einer Einrichtung für Roma-Kinder arbeite und damit versuche Kindern eine Chance auf Bildung und eine bessere Zukunft zu geben, wie soll jemand, der Homosexuell, Bisexuell oder Transsexuell ist, jemals den Mut fassen dazu stehen zu können, wenn er in der Gesellschaft noch unbeliebter ist als meine Roma - Kinder?
Und so bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich keine Antwort finde. Ich kann nur hoffen. Hoffen, dass sich in diesem Land, welches seit 2007 Teil der Europäischen Union ist, etwas ändert. Erst wenn ein Großteil der Bevölkerung gelernt hat, sich Minderheiten gegenüber zu öffnen, Vorurteile ablegt und Lebensweisen, die nicht der Norm entsprechen, akzeptiert, kann sich etwas für die Betroffenen zum Positiven verändern.
Und so habe ich nun schon das zweite Mal in Folge einen langen Text auf meinem Blog veröffentlicht und traue mich gar nicht erst zu versprechen, dass das so schnell nicht wieder vorkommen wird. Mittlerweile ist es hier schon nach 2 Uhr nachts und ich sollte so langsam die Äuglein schließen, weil ich morgen um kurz vor 7 aufstehen muss. Also möchte ich zu guter letzt nur noch darauf hinweisen, dass das in der Überschrift zitierte aus dem Song "Same Love" von Macklemore stammt - während das Lied in Deutschland hoch und runter läuft, habe ich es hier noch nicht einmal gehört! - und schaue mit besorgten Blick nach Deutschland und auf die Diskussion über einen sehr umstrittenen Bildungsplan...